Es gibt keine Zufälle!

Ulric Kintzel, November 1997

Diese Aussage entspricht meiner Lebensauffassung. Ich bin erstmalig auf sie gestoßen, als ich anfangs der 90er Jahre bei der Untersuchung kognitiver Prozesse auf die Notwendigkeit stieß, ein - zugegebenermaßen einfaches - Modell der Welt zu machen. Ich werde gleich näher darauf eingehen, ohne den exakten formalen mathematisch-physikalischen Gehalt meiner damaligen Ansätze nachzubilden. Vorher möchte ich jedoch erwähnen, daß ich die obige Aussage auch noch einmal auf ganz anderem, viel weniger abstraktem, Wege kennengelernt habe. Dies hat mit einigen Irrwegen meines Lebens zu tun, die mich gelehrt haben, daß Leben von einer anderen Warte aus zu betrachten. So, nun wollen wir uns das mit den Zufällen einmal anschauen:

Die Kernidee meines Forschungsansatzes war, daß es ein universelles Prinzip geben sollte, dem alle Dinge der Welt gehorchen. Nach einer Umschau im Bereich der Naturwissenschaften kam ich zu der Auffassung, daß das Hamiltonsche Prinzip der Physik diesem Prinzip recht nahe kommen müßte. Formal sieht das so aus:

In Worten fordert das Hamiltonsche Prinzip, daß "die Variation des Zeitintegrals der Differenz zwischen Potential (Pi) und Kinetik (T) verschwindet". Anschaulich ausgedrückt, steht kein großer Zauber hinter dieser Aussage. Sie besagt, daß die Bahn eines geworfenen Steines zu jedem Zeitpunkt einen optimalen Ausgleich zwischen der Kraft des Wurfes (T) und der Anziehung der Erde (Pi) bildet. Die Flugbahn des Steines ist also eine optimale Linie, die als geodätische Linie (geodesic) bezeichnet wird. Was für Steine auf der Erde gilt, gilt auch für den Kosmos im Ganzen, wobei dort Planeten, Sonnen, Sonnensysteme, Galaxien, Galaxienhaufen usw. "geworfen" werden.

Im Rahmen meiner Modellbildung kam ich zu einer verallgemeinerten Auffassung des Hamiltonschen Prinzips. Betrachten wir uns z.B. den Flug einer Fliege. Sie bewegt sich anscheinend in einem Zickzackkurs durch den Raum und doch können wir annehmen, daß sie getrieben von Gerüchen und anderen Wahrnehmungen ihre eigene Aktivität entwickelt. Setzen wir die Wahrnehmungen der Fliege mit dem Potential (Pi) gleich und ihre Aktivität mit der Kinetik (T) gleich, dann wird ihr Flug ebenfalls durch das Hamiltonsche Prinzip beschrieben und die Bahnkurve stellt - in dem hier beschriebenen Sinn - eine geodätische (= optimale) Linie dar.

Aber wir können noch einen Schritt weiter gehen: Wie sieht es denn mit dem Verhalten eines Menschen aus? Auch seine "Lebenslinie" ergibt sich aus einem Ausgleich zwischen seiner Vorstellung, d.h. seinem Potential (Pi), und den Handlungen, die dazu notwendig sind, diese Vorstellungen zu verwirklichen, d.h. seiner Kinetik (T). Es ist somit gar nicht so schwierig, daß Hamiltonsche Prinzip der Physik in dem Phänomen der "selbsterfüllenden Prophezeiung" (selffullfilling prophecy) der Psychologie wiederzufinden.

Nehmen wir nun einmal an, daß jedes Teilchen des Universums "seinem" Hamiltonschen Prinzip genügt, wobei wir als Verallgemeinerung des physikalischen Begriffes des Potentials nun den Begriff der Wahrnehmung (perception) und als Verallgemeinerung des physikalischen Begriffes der Kinetik nun den Begriff der Tätigkeit (action) setzen sollten. Dann stoßen wir auf folgende Situation: Wir haben eine Menge von Teilen und Teilchen vor uns, von denen jedes wahrnimmt und tätig ist. Nun ist aber keines dieser Objekte in einem isolierten System lebendig, sondern die Wahrnehmungen und Tätigkeiten der Objekte befinden sich in einem gegenseitigen Wechselspiel, sie "kommunizieren" miteinander. Wenn wir dann doch noch einmal formal werden, sieht das so aus:

Die Summe aller Wahrnehmungen und Tätigkeiten der Objekte des Universums stehen in einem solchen Zusammenhang miteinander, daß sich zum einen jedes Objekt entlang seiner Lebenslinie bewegt und daß sich zum anderen auch das gesamte System entlang seiner Lebenslinie bewegt. Mit anderen Worten: Es gibt keine Zufälle!

Vielleicht sollte ich noch anmerken, daß die hier beschriebene Modellbildung von rekursiver (= in sich selbst wiederkehrende) Natur ist. So ist nämlich jedes Objekt selbst auch wieder ein System von Subobjekten einer niedrigeren Abstraktionsebene, die dem gleichen Prinzip genügen. So gelangen wir vom Atom weiter nach unten und vom Universum weiter nach oben.

Auch wenn mein Ansatz weiter ausbaufähig ist, wobei es dann mit Tensoren und ähnlichen Objekten der Mathematik der Relativitätstheorie hergeht, möchte ich hinzufügen, daß das Hamiltonsche Prinzip nur eine erste Näherung des Gesuchten sein kann. So lassen sich nämlich nicht alle physikalischen Grundkräfte damit erklären und außerdem hat es einen deterministischen (= vorherbestimmten) Charakter, der der Welt nicht gut zu Gesichte steht. Ich denke eher an die Gültigkeit einer chaotischen Verallgemeinerung dieses Prinzips, wobei ich hier an das Chaos der entsprechenden mathematischen Theorie denke.


Letzte Änderung: 14. Mai 2005 Zurück zur Homepage